…Jugendstil am Oberrhein
Das Folgeprojekt von „Der Pilger im Garten“ nahm seinen Anfang mit der Ausstellung „Jugendstil am Oberrhein“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe.
…Automatismen
Ich besuchte diese Ausstellung in einer Phase, in der ich so darunter litt, als hochsensible Frau durch mitmenschliche Kontakte fortgesetzt in Zustände der Selbstüberforderung zu geraten, dass ich mich zu fragen begann, wie ich bisherige „Automatismen“ der mir unlieb gewordenen Selbstentäußerung durchbrechen könnte.
…Selbstentäußerung
Selbstentäußerung ist ein Phänomen der vor sich selbst verleugneten weiblichen Stärke. Das Frauenbild Anfang des 20.Jahrhunderts hat sicherlich dazu beigetragen, das Bild weiblicher Stärke in der Gesellschaft als ungewollt zu forcieren und weibliche Stärke im Individuum abzuspalten.
…femmes fleurs und femmes fatales
Als „femmes fleurs“ galten sie guten, die reinen, verehrungswürdigen Jungfrauen, als „femmes fatales“ die bösen, die gefährlichen, die verführerischen sexualisierten Frauen. Beide stellten Zerrbilder des Frauseins dar und machten die Frau zum positiv oder negativ bewerteten Objekt.
…Blumensprache
Optisch gefielen mir die Figuren der femmes fleurs im Jugendstil: Sie wurden zusammen mit Motiven aus einer symbolisierten Blumensprache gemalt, häufig mit Schwertlilie, die von der Form her an eine bei den Rittern beliebte Waffe für Zweikämpfe erinnert. „Die Frau als ferne Fantasie“ stand auf poetische Weise durchaus in Verbindung mit innerer Kraft und Standhaftigkeit.
…Angst
In der Realität zu bekämpfen galt es dagegen auch für mich selbst die Angst vor dem Unbewussten, die Angst vor dem Ungewohnten, die sich lähmend über den seelischen Fortschritt legt. Den Entschluss immer „um mich“ kämpfen zu wollen, trage ich schon seit der Kindheit in mir. Es waren die letzten Worte meiner Mutter an mich: „Du musst kämpfen.“ Sie war immer eine große Kämpferin gewesen, wie auch ihre Mutter und ihre Großmutter, zu Zeiten, als die Rechte der Frauen noch viel mehr mit Füßen getreten wurden als heute. Sie verloren ihre Kämpfe, zu Lebzeiten ein würdiges und von der Gesellschaft als dem Mann gleichwertig geschätztes Frauendasein führen zu können, und ich litt lange unter dem Gefühl, selbst trotz vieler Fortschritte in der Emanzipation weiterhin machtlos zu sein gegenüber dem allzu verbreiteten traditionell frauenfeindlichen Gegenwind. Ich habe die Vision, dass eines Tages in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft die Kraft des Weiblichen in der Welt in vollem Umfang den ihr angemessenen Platz einnehmen wird und wir alle aufhören können, sie zu verstecken, zu unterdrücken und zu verleugnen.
…seelische Neugeburt
Die Aufarbeitung von Trauma ist heutzutage „groß in Mode“. Dabei wird, dem Trend folgend, weil es halt gerade alle so machen, gern ein wenig an der Oberfläche der Fassade herumgekratzt, um Unbequemes nur nicht zu nah an sich heranzulassen. Leider ist ein solches Verständnis von Trauma- Therapie aber sinnlos, denn jede Geburt wird durch eine Phase tiefen Schmerzes und auszuhalten-der Enge eingeleitet, auch seelische Neugeburten. Seelische Neugeburt ist – wie wohl jede Geburt – von Angst begleitet, da ein von Traumatisierung unbelastetetes Leben zunächst so unvorstellbar ist, dass die Seele versucht, sich durch angstvolles Abwehren der „gefährlichen Inhalte“ vor weiteren Verletzungen zu schützen. Tatsächlich verhindert diese Angst aber die Heilung. Viele bleiben in ihrer von Traumatisierung überschatteten Kindheit stecken, da sich ihnen die Bereitschaft nicht erschließt, sich einem hohen Leidensdruck zu stellen, Hilfe von außen anzunehmen und dem schmerzhaften Geschehenlassen von innen her zuzustimmen. Diese Prozedur kann an die Grenze des Erträglichen gehen und darüber hinaus. Neulich las ich, dass es auch für Kinder in angenehmen Familienverhältnissen ein Trauma bedeutet, im Alter von 2 – 3 Jahren zu erfahren, dass sie nicht der Mittelpunkt der Welt sind, um den sich alle anderen zu drehen haben. Das ist aber nicht, was ich mit schwerwiegender frühkindlicher Traumatisierung und deren Folgen meine. Jedes Kind versucht den Kontakt zu den Eltern so gut wie möglich zu halten, in nicht intakten Familien kann das heißen, dass es hierfür lernen muss, das loyale Verhalten sich selbst gegenüber abzuschalten und sich selbst nicht mehr zu spüren. Dies als Erwachsener beizubehalten ist dann nicht mehr zeitgemäß und ein durchaus weit verbreitetes Problem.
…bewusst außerhalb des mainstream
Wer als Erwachsener Nicht-mehr-Zeitgemäßes loslassen will, um „ein zufriedenes und stabiles Ich“ zu finden, kann nicht auf dem Weg gehen, auf dem alle unterwegs sind. Irgendwo las ich: neue Impulse (für die Gesellschaft) können nicht aus der Mitte kommen („die Mitte der Gesellschaft“ ist an der Oberfläche unterwegs), sie müssen „von den Rändern“ ihren Anfang nehmen. Wege zu sich selbst müssen neu gesucht und neu gebahnt werden. Meine Musik entsteht aus dem Impuls, auf die eigene Tiefe zu hören und ihr Ausdruck zu geben.
…unterhaltsames Drama
Die ersten Rückmeldungen waren: diese dramatischen Inhalte eignen sich nicht zur Unterhaltung.
„Das will doch keiner hören“. Aber ich wusste, dass das Dramatische mein künstlerisches Thema sein müsste: „Die Wahrheit ist, dass die dramatische Erfindung der erste Versuch eines Menschen ist, sich intellektuell seiner selbst bewusst zu werden. Zwischen Drama, Geschichte und Religion kann keine Grenze gezogen werden.“ (G. B. Shaw)
…Kleidungsvorschriften
Im Konzertbetrieb gibt es Kleidungsvorschriften: Solist:innen in der Klassik tragen üblicherweise die große Gala, Rockmusiker:innen T-Shirt und Jeans, Fantasylook oder Körper betonte, aufreizende Kleidung, aber ich stand vor der Frage: welcher Kleidungsstil entspricht meinem eigenen musikalischen Stil?
…Alltagskleidung?
Denn ich fühle mich im Herzen als Rockmusikerin, der Ausbildung nach als klassische Musikerin und zugleich als jemand, der wie eine Singer-Songwriterin daran arbeitet, eigene Lebens-Erfahrungen in Musik zu übersetzen. Zuerst dachte ich, es wäre passend, meine Konzerte in Alltagskleidung zu spielen („einfach ich selbst“), bekam hierzu von einigen Veranstaltern aber Rückmeldungen, dass diese nicht wirklich kompatibel sei mit meiner Musik. Ich konnte dies nachvollziehen, weil ich ja in meiner Musik ebenso versuche, überpersönlichen Idealen gerecht zu werden.
…fantastische Kleidung?
Darum entschied ich mich, für die Auftritte mit meinen Programmen einen eigenen fantasievollen Kleidungsstil zu erfinden. Dies habe ich viele Jahre so fortgeführt, bis ich spürte, dass ich an den Punkt gekommen wäre, mich dem klassischen Outfit der Orchestermusikerin (mit deren professionellen Spielfähigkeiten ich ja auch in meine kompositorische Tätigkeit gestartet bin) wieder mehr anzunähern. Meistens trage ich nun einfach gedeckte Farben, zuweilen noch mit einem einzelnen bunten Accessoire.
…mein Konzept am Beispiel der CD femme fleur
Für „femme fleur“ recherchierte ich zu der Symbolik der Schwertlilie, die mir – wie jedes Sinnbild – ein reicher Fundus an Anregungen für spannende musikalische Ideen war. Ich widmete dieses Programm den musikalischen Facetten des Kampfgeists, den ich kompositorisch noch nicht ausschließlich mit irischen Liedtraditionen verband. Da sich jeder, der sich durch die Schichten seines Egos zu seiner Seele durchkämpft, mit großen Ängsten auseinander zu setzen hat, begann ich damit, Angst zu reflektieren. Hierbei half es mir, sie poetisch zu verdichten, sie in eine rhythmisch strukturierte überschaubare Form zu bringen.
…hinter den Mauern deiner Angst
Hinter den Mauern deiner Angst
sitzt du,
so klein,
wie ein Kind zusammengekauert.
In der Dunkelkammer deiner Gefühle
scheint es dir sicherer,
dich festzuhalten,
dein Gewicht auf den Boden zu drücken,
und die Enge der Begrenzung zu spüren,
obwohl du so großen Hunger danach hast,
die Freiheit des Himmels und der Erde
einzuatmen
und aufzusteigen
und leicht zu werden
und den Blick in die Weite
zu genießen.
Ein Erlebnis meines Großvaters, der als junger Mann, als 18 jähriger Soldat in russische Kriegsgefangenschaft geriet und nur aufgrund glücklicher Umstände dabei nicht erschossen wurde, inspirierte mich zu folgendem Text:
…Drachenkampf
Die Faust sitzt im Nacken.
Ich höre es knacken.
Gewehre im Rücken.
Ich steh an der Wand.
Kann den Kopf nicht mehr heben,
noch mich mehr beleben,
ich fühle sie drücken,
die Angst an der Hand.
Ich bin so verstört.
Der Kampf mich verheert,
mir zittern die Knie,
ach wüsst ich nur: wie?
Dann höb ich mein Schwert.
Dann ließ ich mir zeigen,
wie‘s wütet und wehrt,
mich behütet und lehrt.
Ich ließe mich leiten,
umgekehrt,
mit ihm an der Seiten,
gen Drachen zu reiten.
…Zitat
„Namenlose Angst,
zeig mir dein Gesicht.
Ich will dich lieben.
Mit dem Lächeln der Liebe
will ich dich genauer ansehen,
deinem Druck standhalten.
Ich schicke dich nicht weg.
Es ist Raum im mir für dich.
Ich bin bereit.
Komm, setz dich zu mir,
sag mir, wie du heißt.“ (Kathrin Beddig)
Empfehlung:
Sonnenkind, 40 Gedichte und Aquarelle von Kathrin Beddig, Momore Verlag 2016
Kathrin Beddig