…negative Gefühle
Negative Gefühle wie Wut und Angst in kreative und positive Energie umzuwandeln, darum geht es in „Duelle“. Anlass für dieses Programm war ein persönliches Erlebnis. Es erschreckte mich, zu beobachten, wie gefühlskalt Menschen manövrieren, wenn sie glauben, „in ihrer Ehre verletzt worden zu sein“. Auf der anderen Seite merkte ich, dass ich mit Wut und Angst selber nicht gut umgehen konnte. Vor allem die in mir steckende „maßlose“ Angst hatte ich, so lange die starken Rückhaltekräfte hielten, verdrängt. Wütend zu werden hatte ich mir abgewöhnt.
…gesetzliche Regelungen
Sich zu duellieren, ist tatsächlich kein Verhalten, das nur in vermeintlich „unzivilisierten Gegenden“ vorkommt, in denen die Blutrache noch gang und gäbe ist. Diese Praxis blickt auch hierzulande auf eine lange Tradition zurück. Duelle waren nicht zuletzt aus dem Grund umstritten, dass sie gesetzliche Regelungen umgingen. Bis heute aber – und auch das scheint mir durchaus bedenklich – ist es üblich, Duelle mithilfe der offiziellen Rechtsprechung auszutragen. Dabei gewinnt nicht unbedingt der, der Recht hat, sondern der, der die besten Tricks kennt.
…die passenden Mitspieler
Dies verweist auf die weit verbreitete Unfähigkeit, sich kompetent und selbstständig gütlich zu einigen. Viele sehen in dieser gängigen Praxis ein Symptom des Narzissmus. Narzissmus ist eine Wahrnehmungsstörung gegenüber sich selbst und anderen. Um die Störung aufrecht zu erhalten braucht es die passenden „Mitspieler“. Diese dürfen nicht allzu selbstbewusst sein. Um gestörten Narzissmus in der Gesellschaft zu reduzieren, ist es so wichtig, Selbstbewusstsein von klein auf zu stärken. Traumatisierung steht dem im Weg.
…Angst und Wut
Hinter dem Wunsch, seine Ehre zu verteidigen, steckt einerseits die Angst, übervorteilt zu werden. Angst ist – wie das Sprichwort sagt – kein guter Ratgeber, andererseits die Wut, sich hilflos unterlegen zu fühlen, ohne dabei zu hinterfragen, ob diese Wut gerechtfertigt ist. Es heißt, ein Großteil alles Bösen geschieht aus Angst. „Not ist notwendig“ schreibt Nietzsche. Wer „durch das Böse“ in Not kommt und aus dieser Not herausfinden will, muss selbst handeln, um die Not (und sich selbst) zu wenden.
…Hintergedanken
Für mich ist „die Frage der Ehre“ eine andere Bezeichnung für die Angst, vor anderen das Gesicht zu verlieren. Heißt das nicht eigentlich, sich vor wem auch immer zu schämen und gewalttätig zu reagieren, um die eigene Scham zu reduzieren? Ich glaube, dass sich da vieles vermischt. Es hat auch mit dem Bedürfnis zu tun, Macht auszuüben über andere, bzw. sich selbst an die Spitze der Hierarchie zu setzen, ohne Rücksicht auf andere durchsetzen zu wollen, was man selber will. Duelle wurden seit jeher gerne dazu genutzt, unliebsame Rivalen aus dem Weg zu räumen.
…der Urmensch am Höhleneingang
In einem Buch las ich den als witzig empfundenen Gedankengang (an dem vermutlich einiges dran ist), dass die meisten Männer in direkter Linie verwandt seien mit dem Steinzeitmenschen, dem seinerzeit aufgetragen wurde, den Eingang der Höhle zu bewachen und auf alles drauf zu hauen, was keinen Einlass haben soll. Dieser kräftigste Vertreter seines Geschlechts war vermutlich besonders beliebt bei den Weibchen, hatte also die meisten Nachkommen, die größtenteils bis heute dieses Verhalten nicht ablegen konnten: draufhauen, statt einfühlsam zu verhandeln.
…“Kampfgeist“
Da Duelle eine solch lange Tradition haben, fand ich es interessant, herauszufinden, was es damit auf sich hat und inwiefern der „Kampfgeist“ darin eine Rolle spielt. Denn „Duelle“ sollte nach „Femme Fleur“ das nächste Programm sein, das ich dem Kampfgeist widmen wollte. Noch bezog ich den Klang des Kampfgeists mehr auf die persönliche Bereitstellung von Energie, historische Kampftraditionen und die Darstellung von Konfrontation, nicht unbedingt auf einen bestimmten musikalischen Stil. Besonders stolz war ich auf mein schwungvolles dreiteiliges „hip-hop-battle“ mit Klavier- und Cajonbegleitung, in dem Blockflöte und Querflöte „gegeneinander antreten“.
…mein Konzept am Beispiel der CD Duelle
Für das Programm „Duelle“ untersuchte ich Kampftechniken im Degen- und Schwertkampf, fiktive Kämpfer wie Don Quijotte und D‘Artagnan und historische Kämpfer wie den berühmten Samurai Musati und band Erzählungen über Duelle wie das des Komponisten Händel gegen den Kapellmeister Mattheson und das humoristische Gedicht über ein Duell auf dem Bauernhof von Heinrich Heine mit ein. Ich fand auch spannend, dass Kampfkultur zu den Künsten gezählt werden kann (dann aber nicht „in Steinzeitmanier“). Demgegenüber stellte ich antike philosophische Weisheiten vor wie die, dass das Tragen von Waffen und das Bemühen um Gesetze nur nötig sei, „weil wir einander fürchten“ und dass darauf verzichtet werden könnte, wenn „alle Menschen zur Weisheit fähig wären“.
…Ausstellung „Monster“
Außerdem wollte ich erstmalig anlässlich dieses Programms, Aktionen für Kinder anbieten, in denen es darum gehen sollte, sich aktiv unter künstlerischen Gesichtspunkten mit Angst auseinander zu setzen. Da ich Musik durch die ihr gemäße Abstraktion und Flüchtigkeit für weniger zugänglich hielt, veranstaltete ich eine Ausstellung mit „Monster- und Drachen-Bildern“, wobei mir wichtig war, die Monster nicht so aussehen zu lassen, dass das Betrachten Angst auslösen würde. Ich lud Kindergärten und Grundschulen ein, sich an dem die Ausstellung begleitenden Mitmachprogramm zu beteiligen. Es ging mir nicht darum, gemeinsam traumatische Ängste aufzuarbeiten. Das wäre auch in solch einem Rahmen gar nicht möglich gewesen. Ich wollte nur bewusstmachen, dass sowohl die Angst der Kinder als auch die der Erwachsenen sich nicht selten auf Inhalte bezieht, die bei genauerer Betrachtung eine solche große Angst gar nicht rechtfertigen.
…Malen
2012 hatte ich begonnen, wieder mehr zu malen, was mir schon früher einmal eine liebe Beschäftigung gewesen war. Ähnlich wie die improvisierte Musik ein Spiegel ist, in dem ich mir meiner selbst immer mehr bewusst werde, offenbaren auch Bilder Gefühle und Zustände, die mich zuweilen überraschen! Um mit Menschen ins Gespräch zu kommen über meine künstlerischen Themen erwies sich das Bildnerische als gut geeignet.
…Bildsymbole der Angst und der überwundenen Angst
Das Monster war mein Bildsymbol für Angst, der Drache das Symbol für überwundene Angst. Jedes Monsterbild stellte eine besondere Angst dar, wie zum Beispiel die Angst nicht schön genug zu sein, die Angst, zu kurz zu kommen, die Angst, im Spiel zu verlieren… Bei Licht betrachtet lösen sich viele dieser Ängste in Luft auf und enden gar in Gelächter. Sogar maßlose Angst verschwindet, nachdem ich die Entscheidung getroffen habe, mich ihr schonungslos auszusetzen.
Ich nenne es: durch die Angst hindurch gehen. Das Schlimmste daran fand ich war das Gefühl der vorübergehenden völligen Haltlosigkeit (vgl. „Loslassen“, Kap. 4).
…der Angst gewachsen sein
„Er missfällt mir, warum? Ich bin ihm nicht gewachsen, hat je ein Mensch so geantwortet?“ Diese klugen Worte von Nietzsche gelten auch für den Umgang mit negativen Gefühlen. Wut und Angst missfallen mir, solange ich mich ihnen nicht gewachsen fühle. Den konstruktiven Umgang mit ihnen kann jeder lernen, wer es als Kind nicht lernte: dann eben als Erwachsener. Ich näherte mich diesen Gefühlen an, indem ich beobachtete, wie sie sich im Körper anfühlen, wie der Körper auf sie reagiert, wie die Atmung sich ändert, während ich sie auf der Flöte darstelle.
…Zitat
„Der aktuelle Zeitgeist ist gut im Verdrängen von Angst und im Verachten von Innerlichkeit.“ (Andreas Dick)
…Empfehlung
Andreas Dick: Mut – über sich hinauswachsen, Hans Huber Verlag 2010