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Liebe fängt dich auf

Blaubeuren

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…Folgeprojekt

Nach der Aufnahme in der Rotunde des Vierordtbades (Wellen(k)länge) machte ich mich für das Folgeprojekt „Der Pilger im Garten“ auf die Suche nach einer alten Kirche mit guter Akustik.

 

…mit Kirchenakustik

In Livekonzerten hatte ich die faszinierendsten Erfahrungen gemacht, wie der Klang der Flöte in die hohen Räume hinaufgezogen wird und sich dort verbreitet.

 

…die passende Kirche finden

Ich dachte daher, es wäre schön, eine Kirche zu finden, die wenigstens 1000 Jahre alt wäre, um mich von der Akustik des Raumes inspirieren zu lassen. Ich fragte bei vielen Kirchen an, bis ich eine fand, die mich einlud zu kommen. Denn entweder war es nicht erlaubt, die Kirche zu nutzen oder die Kirche lag zu nah an einer Autostraße oder es wurde eine hohe Mietgebühr verlangt.

 

…Kloster Blaubeuren

Das ehemalige Kloster in Blaubeuren, das von Besuchern besichtigt werden kann, liegt „verkehrsberuhigt“.  Es hat Räume mit verschiedenen klanglichen Qualitäten: den Kreuzgang, den Vorraum, den Chorraum und einen Raum mit Zugang zu einer Quelle und Blick auf das im Innersten des Klosters liegende Gärtchen.

 

…Aufnahmetag

Für die Aufnahme hatte ich 3 Stunden: Nach 18 Uhr ging der letzte Besucher, um 21 Uhr fuhr der letzte Zug nach Hause. Ich hatte einen ortsansässigen Tontechniker gebeten, die Aufnahme zu begleiten.

 

…der Pilger kommt zum Kloster

Ich hatte mir eine Geschichte überlegt, zu der meine Melodien Gestalt annehmen sollten: ein Mensch auf einer Pilgerreise kommt zum Kloster. Er geht durch den Kreuzgang. Sein Herz quillt über vor Schmerz. Diesen Schmerz schreit er heraus.

 

…neue Kraft fließt in ihn ein

Er geht weiter und beruhigt sich allmählich. Im Vorraum wartet er auf Einlass in den Chorraum. Im Chorraum ist eine feierliche Stimmung. Zum Schluss betritt der Pilger den Raum mit der Quelle.

Neue Kraft fließt in ihn ein.

 

…klangliche Gestaltung

Jedem Raum hatte ich eine besondere Flöte zugeordnet, die dem gewünschten Ausdruck entgegenkam. Die Altquerflöte, meine mystische, in guter Akustik kraftvolle Flöte spielte ich in dem Raum mit der Quelle. Die Querflöte, beweglich und facettenreich im Kreuzgang, im Chorraum die Traverso mit ihrem warmen Holzklang.

 

…mein Konzept am Beispiel der CD „Der Pilger im Garten“

Alle Lieder dachte ich mir als wortlose Gebete, als Verlautbarungen einer Hilfe suchenden Kontaktaufnahme. Die Idee zu dem Projekt kam mir durch den von mir beobachteten gegenwärtigen Trend, Pilgerreisen zu unternehmen. Dieses entspringt wohl einerseits dem Bedürfnis nach innerer Klarheit und dem Erfahren von Gemeinschaft, andererseits dem nach Herausforderung, sich Ziele zu setzen, die nicht an einem Tag zu erreichen sind, aber auch der Wiederbelebung der eigenen Spiritualität. In erster Linie sehe ich Pilgerreisen aber als eine mögliche Option, Bürden zu reflektieren, die mich an einer glücklichen Beziehung zum Leben hindern. Ich denke viel darüber nach, warum ein harmonisches Erleben der Gegenwart so störanfällig ist. In all meinen künstlerischen Themen schwingen Gedanken mit, was es an Zutaten braucht zu einer tragfähigen Beziehungskultur im Umgang mit sich selbst und mit der Welt.

 

…ich – es, ich – du

Mancher definiert die heutige Generation als beziehungsunfähig, vielleicht aus dem Grund, dass „Erziehung“ erst seit kurzem als „Beziehung“ definiert wird, weil Kinder nur „in der Beziehung“ lernen können, ihr eigenes Ich zu stabilisieren. So sind viele erwachsen geworden, ohne ein stabiles Ich entwickelt zu haben.

 

…ein stabiles Ich

Je stabiler das Ich, desto besser wird das Prinzip der Gleichwertigkeit verstanden. Eine von Gleichwertigkeit ausgehende Beziehungsqualität denkt nicht dualistisch (Martin Buber), sondern zirkulär: sie bemüht sich (im Umgang mit sich selbst, mit anderen und im Umgang mit dem Göttlichen) immer wieder neu, aus einem distanzierten ich – es ein persönliches ich – du zu machen.

 

…vergänglicher Zustand

Der Zustand des Ich-Du ist vergänglich und von kurzer Dauer. Wird er jedoch als vermeintliche, scheinbar vertraute Sicherheit missverstanden und soll, nachdem er erreicht wurde, unverändert Bestand haben, verliert er an konstruktiver Kraft und verwandelt er sich zur schalen Gewohnheit.

 

…Symbiose

In der heutigen Gesellschaft ist es gängige Praxis, Ich-Du-Beziehungen so zu gestalten, dass sich das Ich des einen das Du des anderen einverleibt, so dass der eine sein Ich unverhältnismäßig vergrößert, indem er das Du des anderen unverhältnismäßig verkleinert. Dies geschieht aus falsch praktizierter, bzw. fehlender Einfühlsamkeit und ist eine Folge der noch unbearbeiteten gegenseitigen seelischen Traumatisierung. Ein Aufgehen im Andern ist Symbiose.

 

…Unsicherheit als Kompetenz

Erwachsene Beziehungen dürfen nicht symbiotisch sein. Die notwendige Distanz mit zugewandter Nähe zu vereinbaren, fordert Fantasie und Geduld. Für Traumatisierte eine immer mit großer Anstrengung verbundene Gratwanderung. Um der Unsicherheit standhalten zu können, ob die eigenen Bemühungen ausreichen werden, aus einem ich – es immer wieder ein ich – du zu generieren, braucht es zwei in sich gefestigte Ichs.

 

…Mangel an Empathie

Wer sich aber selbst für den Mittelpunkt der Welt hält (wie man heute weiß, passiert dies leicht durch unbehandelte frühe traumatische Erfahrungen), kann auf andere nicht so einfach immer wieder zugehen, da er sie selbst dann nur wenig spürt, wenn er sich ganz besonders anstrengt. Die anderen sind dazu da, um ihn in seiner Großartigkeit zu betätigen. Tatsächlich aber kann sich ein solcherart auf sich selbst fixiertes Ich von innen her nicht selbst ausfüllen. Es ist ichlos.

 

..Mangelndes Grenzbewusstsein

Wer andere dagegen besser spürt als sich selbst (wie man heute weiß, passiert dies leicht durch unbehandelte frühe traumatische Erfahrungen), kann auf Grenzüberschreitungen nur mit Verzögerung reagieren und sie daher nur unzureichend in die Schranken weisen. Darum merkt er  zu spät, wie wenig von demjenigen, der auf seine Kosten bestätigt werden will, seinem eigenen Bedürfnis nach freundschaftlichem Umgang Sorge getragen wird, denn er hat sich angewöhnt, sich manches schön zu reden und allzu duldsam zu sein. Wer sich selbst „im anderen“ verliert, verrät sein eigenes Ich.

 

 …am Abgrund der Beziehungslosigkeit

So suchen viele Traumatisierte ihr Leben lang nach einer stabilen Anbindung an sich selbst, von der aus sie anderen ganz natürlich auf Augenhöhe begegnen können, ohne sie zu finden. Für die Wiederanbindung an sich selbst nach traumatischen Erfahrungen hat sich in den letzten Jahren das Bild des inneren Kindes etabliert, das vom eigenen erwachsenen Ich getröstet und in den Arm genommen werden will. Nur so kann das Stadium des verletzten Kindes, in dem die Empathielosen und die Entgrenzten auch als Erwachsene weiterhin verharren, überwunden werden.

 

…Hilfe durch die höhere Macht

Ichlosigkeit, das nicht verfügen können über ein stabiles Ich ist eine ganz besondere Form der Sucht. Wie in anderen Süchten auch gibt es Süchtige und Co-Abhängige, die „mit vereinten Kräften“ den krankhaften Zustand aufrecht erhalten, weil sie keinen anderen Ausweg wissen. Der Ausweg heißt (wie bei den anonymen Alkoholikern) – „spiritus contra spiritum“: „Wir kamen zu dem Schluss, dass eine Macht, größer als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wieder geben kann. Wir fassten den Entschluss, unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes – so wie wir ihn verstanden – anzuvertrauen. Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserm Innern. Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewusste Verbindung zu Gott – wie wir ihn verstehen – zu vertiefen. Wir baten ihn nur, uns seinen Willen erkennbar werden zu lassen und uns die Kraft zu geben, ihn auszuführen.“

 

 …sich dem Leben anvertrauen

Seit ich mich mit der Apokalypse des Johannes beschäftigt habe, ist der Adler für mich Sinnbild dafür, Abgründe überwinden zu können und sich angesichts der durch Traumatisierung drohenden Absturzgefährdung des menschlichen Seins „vom Atem des Windes“, von der Kraft des das Leben Fördernden tragen zu lassen. Ein schönes Bild, wie es gelingt, der einem innewohnenden eigenen Stärke vertrauen zu lernen, um wirklich selbstständig zu werden und sich nicht mehr zu begrenzen auf den emotionalen Zustand des in der frühen Kindheit Stecken gebliebenen, sehe ich in dem Procedere, wie junge Adler fliegen lernen:

 

…Liebe fängt dich auf

Die jungen Adler sitzen im Nest in luftiger Höhe, bis sie flügge werden. Freiwillig wollen sie es aber nicht verlassen. Wenn es an der Zeit ist, greift der alte Adler sich eins seiner Jungen, fliegt fort vom Nest und lässt es los. Das Junge hat noch keine Übung im Fliegen. Es stellt sich ungeschickt an und fällt. Doch bevor es am Boden aufschlägt, rast der alte Adler, der ruhig über dem Horst geschwebt hatte, abwärts, packt das Kleine im Fallen und bringt es wieder nach oben. Das Ganze beginnt von vorn und allmählich versteht der junge Adler, wie er seine Flügel einsetzen kann und er lernt, selbst zu fliegen.

 

…Zitat

„Wir schenken uns in der Beziehung zum Leben die größte im Augenblick verfügbare Version unseres Selbst…Und etwas mehr. Beziehungen (zu Gott, zu uns selbst, zu anderen Menschen) sind der Altar, auf dem wir immer wieder und wieder unser kleineres Ich opfern, um in ein größeres hinein zu wachsen, bis zu dem, was wir wirklich sind. (nach Veit Lindau)

 

…Empfehlung

Peter Dyckhoff: Das Ruhegebet im Alltag, Herderverlag 2005

 

Kathrin Beddig