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Im Wald

Komponistin sein

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…Fantasie macht das Leben bunt

Eingeübt hatte ich meine Fantasie ganz nebenbei im Erfinden von Spielen mit meinen Brüdern. Ich glaube, dass der Zugang zur Fantasie vor allem in jungen Jahren gebahnt und dann aber in späteren Jahren auch in ganz anderen Zusammenhängen genutzt werden kann.

 

…Kultur und Wissenschaft

Von positiver Wirkung ist wohl hauptsächlich die Erzeugung von Situationen des völligen Vertieftseins und des Einsseins mit sich und dem, was man gerade tut, wie es auch in künstlerischer Tätigkeit der Fall ist. C. G. Jung fand heraus, dass er für seine wissenschaftlichen Forschungen die besten Einfälle hatte, wenn er sich regelmäßig zurückzog, um „wie ein Kind“ mit den eigenen Händen spielerisch zu gestalten.

 

…den Eismantel der Gewohnheit ablegen

Fantasie garantiert, nicht das immer Gleiche „seelenlos“ abzuspulen. Sie hilft in der Musik, Interpretationen lebendig werden zu lassen. Nur mithilfe der Fantasie wird es möglich sein, eine  „klassenlose Gesellschaft“ in die Tat umzusetzen. Hierzu Albert Schweitzer: „Gewohnheiten engen ein wie künstliche Schneckenhäuser. Darum fehlt es an Menschen auf der Welt.

 

…Nähe anbieten

Der sittliche Mensch in uns stirbt, wenn wir müde werden, mitzufühlen. Als Kinder hatten wir alle die Fähigkeit des Mitleidens. Später werden viele Menschen wie Häuser, deren Läden geschlossen sind und die kalt und fremd in die Straße hineinschauen.“ „Das Neue wird aber nicht im Niemandsland, sondern aus der Nähe gewonnen.“ (Novalis) „Musik zeigt, was stumm ist und auf Verwirklichung hofft.“ (Bloch) In meiner Musik empfinde ich nach, wie es ist, mit sich selbst und anderen in zugewandter Beziehung zu sein. Mit meiner Musik biete ich menschliche Nähe an.

 

…Kultur und Wirtschaft

Gerade in letzter Zeit gibt es vermehrt auch politische Anstrengungen, kreatives Denken und Wirtschaft zu vernetzen. Solange aber der Fokus dabei hauptsächlich auf der Optimierung des Profits liegt, den Machtspielen und bornierten Wünschen des Egos folgt, geht dies in die falsche Richtung, frei nach Nietzsche: „Wozu all die Wissenschaft, wenn sie nicht zu einer menschlichen Kultur des Anstands führt“

 

…Anfänge als Komponistin

Mein kompositorisches Konzept entstand in einem Moment in meinem Leben, in dem mir klar wurde, dass ich trotz vieler Schritte als Musikerin, die ich schon gegangen war, noch weit entfernt war von dem Ziel, das mir eigentlich vorschwebte: mein unverwechselbares Eigenes zu finden und auszudrücken. Im Vorfeld hatte ich mich viel mit Tonarten-Symbolik beschäftigt. Ich fand es spannend, dass viele Komponisten Lieblings-Tonarten hatten. Um z. B. den Sonnenaufgang darzustellen, gab es keine einheitlichen Regeln, sondern jeder Komponist wählte einen anderen Grundton.

 

… Nächtliche Träume

Dem Beschluss, mir selbst als Komponistin mehr Raum zu geben, gingen nächtliche Träume voraus, die ich mir aufschrieb, und über die ich nachdachte. So träumte ich, barfuß an einem Strand entlang zu gehen und bunte Fußspuren im Sand zu hinterlassen, die aber von den Wellen weggespült wurden. Oder dass ich „in einer Wettbewerbssituation“ zielgerichtet und so schnell wie möglich geradeaus schwamm, um schließlich (m)eine Insel zu erreichen. Häufig auch in immer neuen Varianten, ich müsse meine bisherige leer geräumte, von anderen, mir fremden Menschen bezogene Wohnung verlassen und weitergehen, ohne das Ziel zu kennen.

 

… Loslassen

Um mich mit dem Beruf der Komponistin auseinander zu setzen und mir klar zu werden, wo ich mich selbst verorten könnte, nahm ich Kontakt auf zu zeitgenössischen Komponist:innen, deren Werke mir gefielen. Ich suchte mir Musiker:innen der verschiedensten Genres, um mit ihnen zu spielen. Etwas Neues zu beginnen, konfrontiert mit Angst und fordert Vertrauen heraus auf das, was noch nicht ist, sondern erst werden soll: „Man entdeckt keine neuen Länder, wenn man sich nicht bereit erklärt, für sehr lange Zeit, das Ufer aus den Augen zu verlieren.“ (André Gide) „Wer nicht loszulassen wagt, kann nicht lieben.“ (Henri Nodet)

 

… Form finden

Es war mir wichtig, mich zunächst nicht auf Formen festzulegen, sondern ganz vom klanglichen Ausdruck auszugehen, den Takt aufzuheben, die Tonart aufzuheben und zunächst einfach zu sammeln, was sich mir zeigte. Form sollte nicht vorgegeben sein, ich wollte mich nicht durch Form einengen lassen, sondern frei sein, meine eigene Form zu finden. Und auch seitdem ich für mich passende Formen gefunden habe, halte ich mich offen für alles, was sich an Unvorhergesehenem in der Musik zeigen will, in einem fortlaufenden Prozess des Bewusstwerdens des noch Unbewussten. Der Blick für das Wesentliche bedarf innerer und äußerer Gelöstheit.

 

… Mein erstes Programm

Mein erstes Abend füllendes Programm (Es singt dir mein Herz) schrieb ich im Gegensatz zu vielen darauffolgenden ganz ohne vorherige Recherche innerhalb von 14 Tagen nieder. Es hatte schon lange in mir geruht und nur darauf gewartet, „herauszukommen“. Dieses Konzept ergab meine 1. CD mit Eigenkompositionen. Ich nahm sie im örtlichen Gemeindesaal mit einem vorübergehend arbeitslosen Physiker auf, so wie es vom Livevortrag her gewohnt war, spielte ich einfach Stück für Stück.

 

… mein Konzept am Beispiel der CD Es singt dir mein Herz

„Es singt dir mein Herz“ beschäftigt sich mit dem Lebensgefühl des archaischen Menschen. Es heißt, der archaische Mensch sei dem neuzeitlichen hinsichtlich seiner Herzensqualität überlegen gewesen. Er hat die Welt noch fühlen können, statt sie zu denken. Dahin müssen wir innerlich zurückkehren: Germanus Piegsda meint, wir sollten aufhören, die Welt so zu denken, wie wir es bislang mehrheitlich tun. Dadurch würden sich unsere Erfahrungen ändern. Wenn wir fühlen würden, wie die Welt in Wahrheit ist, könnten wir aus dem Herzen heraus anders handeln. Im alten Testament dachte man mit dem Herzen und fühlte mit Auge und Zunge. Ganz im Sinne von Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Aber „es ist schwerer, zum Einfachen zurück zu kehren als sich zu verkünsteln.“ (Goethe). Da die Zivilisation zur Entfremdung des Menschen von sich selbst, also zu seiner Verkünstelung, beigetragen hat, ging ich für die Arbeit an „Es singt dir mein Herz“ so weit wie möglich vor die Zeiten der Verkünstelung zurück: zu den 5000 Jahre alten Psalmentexten. Wie in ihnen abzulesen ist, hat der Mensch früher nicht anders gefühlt als der heutige, nur der Kontakt zu der natürlichen Ganzheit ist verloren gegangen und den gilt es wieder zu finden. Dies ist ein schmerzhafter Weg. Er führt durch die Nacht zum Tag.

In „Es singt dir mein Herz“ verbinde ich Zitate aus den Psalmen mit „einer Nacht im Wald“. Die erste Station ist das Finden eines Ruheortes an einer Wasserstelle. Unheimliche Geräusche dringen durch die Nacht, die uns Angst machen. Um die Nacht unbeschadet durchzustehen und weniger Angst zu haben, entfachen wir ein Feuer. Im Schutz des Feuers warten wir auf den Tag. Der Tag bricht an und unser Blick fällt auf den uns umgebenden Reichtum der Natur. Für jedes dieser fünf Szenarien hänge ich im Konzert ein entsprechend bemaltes farbiges Tuch auf, das ich jeweils einem der fünf Gefühle, die mir auf meiner Held:innenreise von Nutzen sind, zugeordnet habe. Für die Haltung, seelisch Schweres geduldig zu ertragen, fand ich Worte in meinem Gedicht „Dein Wille geschehe“:

…Dein Wille geschehe 
Du schlugst mich mit Wehe,
die Schmerzen sind alt,
und gabst mir als Lehe
gebückte Gestalt.

Du nahmst mir die Sätze,
ich war nicht mehr frei
und fand keine Plätze,
zu lösen den Schrei.

Stattdessen: die Stille,
aus Stille wuchs Klang,
aus Einklang wuchs mein Klang,
aus mein Klang Gesang.

Geschehe dein Wille,
ich weinte die Terz,
und Rille um Rille
durchströmst du mein Herz.

Zur Hörprobe „Es singt Dir mein Herz“

 

…Zitat

„ Gibt es heutzutage Scouts, die uns Frauen zurückführen in die Ursprünglichkeit? Wir haben gelernt, dieses Verlangen tief in uns zu verstecken. Aber der Schatten der wilden Frau weicht nicht von unserer Seite und dieser Schatten hat vier Beine!“ frei nach Dr. Clarissa Pinkola Estés

 

…Empfehlung:

Clarissa Pinkola Estés: Die Wolfsfrau, Heyne Verlag, 1993