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Morgendämmerung

Weißt du was du kannst? 

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…Sternstunden

Als ich klein war, trafen sich in meiner Familie im Advent regelmäßig alle Kleinen und Großen, um so mehrstimmig wie möglich das Quempasheft rauf und runter zu singen und zu spielen. Dieses gemeinsame Bemühen um ein harmonisches Miteinander habe ich in allerschönster Erinnerung.

 

…Herz, Seel und Mut

Bei einer dieser Musikstunden brachte mir das Lied „Ich steh an deiner Krippen hier“ die plötzliche Gewissheit, dass das Geschenk des Lebens in sich Antwort ist auf die Frage „weißt du, was du kannst?“ Indem ich dem nachgehe, zeige ich mich demgegenüber erkenntlich, was mir gegeben ist, und dem gegenüber, der mir gegeben hat (vgl. auch: Lukas 19, 12 – 23). Hier entdeckte ich für mich Lebensaufgabe und Quelle meiner Lebensfreude.

 

…Selbstachtung

Nietzsche schreibt: „Seit es Menschen gibt, hat der Mensch sich zu wenig gefreut. Lernen wir, uns besser uns freuen, so verlernen wir am besten, anderen weh zu tun und Wehes auszudenken. Ich wollte, man finge damit an, sich selbst zu achten, alles andere folgt daraus.“

 

…Ich-Stärke

Was vielen Menschen heute fehlt, ist eine Verwurzelung in einem tieferen Grund. Aus dieser über das Selbst hinausgehenden inneren Anbindung entstehen Freiheit und Leichtigkeit (Jaspers), Fülle, Offenheit sich selbst und anderen gegenüber. Nur wer sich selbst nicht übertrieben wichtig nimmt, kann Verantwortung tragen und Ich-Stärke entwickeln. Ich-Stärke ist das Gegenteil von Ich-Sucht.

 

…Ich-Sucht

Die Ich-Sucht auf Kosten anderer entsteht dagegen aus dem Zwang zur Selbst-Behauptung. Selbst immer an vorderster Stelle stehen zu müssen, schneidet den Menschen ab von sich selbst. Er scheint ich-bezogen, ist aber tatsächlich ich-los. Eine Umkehr aus dem Bisherigen kann nur gnadenhaft erfahren werden, in einer demütigen Haltung, die eine Bescheidenheit verlangt, die vielen heute fremd ist.

 

…Wertschätzung

Doch es gibt auch Menschen, die glauben, dass das, was ihnen leicht fällt, nicht besonders erwähnenswert ist in der irrigen Annahme, dass es alle anderen genauso gut können. Hier aber sind die Bereiche, auf die sie in ihrem Leben einen inhaltlichen Schwerpunkt legen können. Wer lernt, sich in diesem Sinne wertzuschätzen, dessen Wesentliches tritt hervor.

 

…Die Außenwelt als Indikator

Um Klarheit zu erhalten, wo meine Talente liegen, haben mir Hinweise anderer Menschen weitergeholfen. Zwar waren diese oft im ersten Moment alles andere als ermutigend, aber dennoch zielführend. Außer den folgenden zwei Beispielen würden mir noch viele andere einfallen…

  • eine Lehrerin nahm mir übel, dass ich das aufgegebene Gedicht von meinen Eltern hätte schreiben lassen. Dies glaubte sie daran erkannt zu haben, dass der Wortschatz „nicht kindgemäß“ war. Dass ich es tatsächlich völlig selbstständig geschrieben hatte, musste ich dann nachträglich beweisen. Und doch trug dieses Erlebnis mit dazu bei, dass ich mich im Umgang mit Sprache immer besonders anstrengte, das Beste aus mir heraus zu holen, weil ich wusste, dass ich Gutes leisten könnte. Dadurch habe ich mir selbst ermöglicht, viel dazu zu lernen.
  • der Leiter des Stipendienprogramms, an dem ich schulbegleitend teilnahm, bemerkte „dieser eine Ton innerhalb deines Spiels war außergewöhnlich schön“. Ich hätte traurig sein können, dass nur ein Ton besonders schön war, und doch war ich motiviert, daraufhin herauszufinden, wie ich erreichen könnte, auch die Schönheit der anderen Töne zu optimieren.
    …Ja oder Nein
    „Das Wesen des Guten ist Leben erhalten, Leben fördern, Leben auf seinen höchsten Wert bringen. Das Wesen des Bösen ist Leben vernichten, Leben schädigen, Leben in seiner Entwicklung hemmen.“ (Predigt vom 2. 3. 1913, Albert Schweitzer). Indem ich wähle, welche Seite ich in mir stärken will, gewinnt diese an Kraft. „Die Seele ist ein polyphones Instrument des Weltgeistes.“ (Goethe)

 

…Der tägliche Feldzug gegen sich selbst

Nach C. G. Jung ist der größte Feind der seelischen Weiterentwicklung eine gut situierte Existenz. Diese will man eher unverändert beibehalten, damit sich für immer alles in gleicher Weise gelungen anfühlt. Dadurch hält ein solches Leben das Interesse gering, jeden Tag „einen Feldzug gegen sich selbst zu führen. Viele sind hartnäckig in Bezug auf den einmal eingeschlagenen Weg, wenige in Bezug auf das Ziel“ (Nietzsche)

 

…zu jeder Seele gehört eine andere Welt

Um die Tiefen der eigenen Seele zu ergründen und sich seiner selbst gewusst zu werden, braucht es wie bei allen großen Abenteuern Mut, Durchhaltevermögen, Hilfe von außen und glückliche Fügungen, um erfolgreich zu sein. Die Kunst besteht darin, nicht aufzugeben. „Zu jeder Seele gehört eine andere Welt. Wolle ein Selbst, so wirst du ein Selbst.“ (Nietzsche)

 

…Mein Konzept am Beispiel der CD Lichtspieler

Meine CD Lichtspieler setzt sich mit der Weihnachtsgeschichte auseinander und reflektiert die persönliche Bedeutung, die diese heutzutage für jeden einzelnen noch haben kann. Das Weihnachtsfest verbindet sich für mich mit gemischten Gefühlen, die ich anhand von Weihnachtslied-Bearbeitungen als eigenwillige „Familien-Charaktere“ musikalisch darstelle. Anstrengendes sehe ich humorvoll, um letztlich doch allem etwas Gutes abzugewinnen. Jedes Gefühl hat eine helle und eine dunkle Seite und ich habe beschlossen, in meiner Musik den Aspekten den größten Raum zu geben, die für mich die Fähigkeit mitbringen, den Ausdruck von Lebenswillen zu unterstützen.

Zur Hörprobe der CD „Lichtspieler“

 

….Das Dunkle ins Helle führen

Denn die Aufgabe des Künstlers ist es, das Schwere leicht zu machen. „Indem der Künstler seine Einbildungskraft nutzt, leistet er Pionierarbeit für die ganze Gesellschaft.“ (Rollo May) Pionierarbeit zu leisten, das meint: sich auf unbekanntes inneres Gelände hinaus zu trauen und dieses zu bearbeiten und zu bebauen, damit es Frucht trägt. Andreas Dick schreibt in seinem Buch über Selbsttransformation:„Kreativität fordert immer eine Auseinandersetzung mit dem Schatten. Kreative Menschen schaffen eine neue Realität.“ Hinter dem Schatten (mit Schmerz verbundene und daher verdrängte Erfahrung) liegt das Ziel, die „Schafsnatur des Einheitsmenschen“ (Goethe) hinter sich zu lassen. Doch „in dem Bestreben, sich nicht zu erkennen, sind die gewöhnlichen (d. h. der Gewohnheit verhafteten) Menschen sehr fein und listig.“ (Nietzsche)

 

….Das Eigentümliche gegenüber dem Entlehnten bevorzugen

J. J. Quantz empfahl angehenden Musiker:innen vor fast 300 Jahren, nicht andere nachzuahmen, sondern stattdessen einen eigenen Stil zu kreieren, denn „das Eigentümliche ist allzeit besser und von längerer Dauer als das Entlehnte.“ Mich wundert, dass diese Befürwortung von Selbstwerdung aus einer Zeit nicht demokratischer gesellschaftlicher Unfreiheit stammt, während in der heutigen Musikwelt in demokratischer Schein(?)-Freiheit trotz aller Parolen, „dass jeder so sein darf, wie er ist“ immer noch die Maxime gilt, dass das Wesentliche allenfalls eine untergeordnete Rolle zu spielen hat, damit wirtschaftlich der größtmögliche Erfolg erzielt werden kann. Persönliche Ecken und Kanten lassen sich der Allgemeinheit nicht im großen Stil verkaufen. Seelisches Wachstum aber lebt im Verborgenen von der Macht der Fantasie, von dem „Unerhörten“.

 

…Zitat

„Wir träumen von Reisen durch das Weltall, ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. Nach innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft. Die Außenwelt ist die Schattenwelt, sie wirft den Schatten in das Lichtreich.“ (Novalis)

 

…Empfehlung

Friedrich Nietzsche: Wie man wird, was man ist,
Inseltaschenbuch 1988